Spiel(en) neu denken: Homo ludens medialis 2.0?

Der Mensch wird im Kontext des Spiels in seiner Entwicklung betrachtet: Woher kommt, aus eher anthropologischer Sichtweise, das Verhalten im und Bedürfnis nach Spiel(en) – und vor allem wohin geht es? Der Beitrag bietet einen umfassenden Überblick zu den grundlegenden Ansätzen in der Peripherie von Mensch und Spiel und reißt dabei viele zugehörige Schnittstellen an, um zur weiteren Vertiefung anzuregen. Es werden dabei insbesondere Fragen aufgeworfen, die auch im pädagogischen Umgang mit Spiel(en) von Bedeutung sind, wie beispielsweise: Wie beeinflusst Spiel neuere mediale Lern- und Bildungsformen und welche Chancen für biografische Bildungsperspektiven können darin gefunden werden? Die ganzheitliche Perspektive steht dabei ebenso im Vordergrund, wie die Ausrichtung der Thematik auf digitale Spielformen und deren, auch praxisorientierte, Bedeutung für die Veränderung von aktuellen Spielkulturen.

Das Spiel ist als wichtiger Kulturfaktor eingebettet in das Weltverständnis des jeweiligen Spielers und weist auf dieses zurück. Mit Blick auf digitale und vernetzte Speilwelten ergeben sich daraus neue Sichtweisen des "spielenden Menschen", denen sie mit Wolfgang Zacharias auf den Grund gehen können.

Im Rahmen der Münchner spiel- und medienkulturellen Praxisprojekte ist 1995 das kommunale Netzwerk „Arbeitsgemeinschaft Inter@ktiv“ entstanden. Dort werden von ca. 100, z.T. auch landes- und bundesweiten Partnern, vielerlei Veranstaltungen, Fortbildungen und Veröffentlichungen angeboten. Insbesondere das jährliche „Herbstevent“ im Oktober und November versammelt unter einem Motto (2010: Spielen ohne Grenzen) über 150 Angebote für Kinder, Jugendliche, Schule, Familie, Multiplikatoren, Kultur- und Medienpädagogen: www.interaktiv-muc.de

Links zu Informationen, Fortbildungen, Programmen, Institutionen und freien Trägern

Aktuelle Projekte und Initiativen zum Thema reale/digitale Kunst-, Spiel- und Lernwelten

Im Rahmen der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ Remscheid) ist 2011 ein Positionspapier entstanden zum Thema „Kulturelle Bildung in der Netzwerkgesellschaft gestalten“, das im Kontext von Medienbildung die ästhetische, partizipative und real-digitale Wechselwirkung („Sinne & Cyber“) betont: www.bkj.de

1995 und 1996 fanden in München zwei bundesweite Kongresse statt, die das aktuelle Thema "Medialisierung und Digitalisierung" damals hinsichtlich Jugend, Kultur, Bildung, Aufwachsen und Schule in den Horizont von Veränderungsdynamik und Strukturwandel stellten. Diese Diskurse sind dokumentiert in:

Zacharias, W. (Hrsg.) (1996): Interaktiv - Im Labyrinth der Wirklichkeiten. Klartext, Essen.
Zacharias, W. (Hrsg.) (1997): Interaktiv - Im Labyrinth der Möglichkeiten. Bundesvereinigung kulturelle Jugendbildung, Remscheid.

 

Zum Stichwort „Kulturpädagogik“ entstand 2001 eine Einführung, die unter anderem eine „Kulturpädagogik für das 21. Jahrhundert“ mit einer „Ästhetisch akzentuierten Medienbildung“ als Herausforderung betonte:

Zacharias, W. (2001): Kulturpädagogik. Eine Einführung. Leske und Budrich, Opladen.
Das „Handbuch Soziale Arbeit, 4.", völlig neu überarbeitete Auflage, enthält auch ein Stichwort „Spiel“ mit dem „Ausblick: Homo ludens digitalis?“ als „Aktualität 2.0“:


Zacharias, W. (2011): Spiel. In: Otto, H.U., Thiersch, H. (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. Ernst Reinhardt Verlag, München, 1560-1568.


Im Rahmen Ästhetische Bildung / Kunstpädagogik ist der Verbund von öffentlichem Raum, Kunst, Spiel, Medien, Netz ein aktuelles Diskursthema geworden, repräsentativ etwa nachzulesen in:

Stutz, U. (2008): Kommunikationsskulpturen. Kopaed, München.
Brohl, C. (2003): Displacement als Kunstpädagogische Strategie. Books on Demand, Norderstedt.
Kunst + Unterricht, Themenheft (328/2008): Handlungsraum Netz. Friedrichverlag, Seelze.
Kunst + Unterricht, Themenheft (352/2011): Urban art. Friedrichverlag, Seelze.

Jugendarbeit, Jugendkulturen und Medienarbeit sowie Medienkulturen haben eine zunehmende symbiotische Verbindung im Horizont des Aufwachsens mit Medien sowie der digitalen Spielkulturen und sozialen Netzwerke. Das Bundesprojekt "jugendonline" (www.ijab.de und www.jugendinfo.de) hat dazu eine aktuelle Projektdokumentation mit vielerlei Diskursthemen und Projektinformationen herausgebracht:

IJAB (Hrsg.) (2011): jugendonline – Herausforderungen für eine digitale Jugendbildung. Kopaed, München.

Diese Sammlung von Funktionszuweisungen, Interpretationsmöglichkeiten und Akzentuierungen illustriert das komplexe Spektrum dessen, was im Phänomen "Spiel" als Potenz des "homo ludens" mitspielt. Es geht also um Symbole, Anwendungen, Kontexte, Kriterien, Wirkungen und Zuschreibungen. Deutlich wird dabei vor allem die Komplexität, der auch empirisch beschreibbare Aspektreichtum dessen, was sich unter dem Begriff summiert. Im Mittelpunkt steht die Natur des Spiels als anthropologisches Urphänomen - Medialität und Digitalisierung als neue Spielformen und Spielformate eingeschlossen:

 

Spiel ist Form.
Spiel ist materiell und abstrakt.
Spiel ist Kultur bzw. deren Ursprung.
Spiel ist konstruktiv und destruktiv.
Spiel ist Ritual, Imitation, Mimesis.
Spiel ist sinnlich und rational.
Spiel bildet.
Spiel ist Zufall, Glück, Unglück.
Spiel ist informelles und nonformales Lernen.
Spiel ist performativ, dramaturgisch und sozial kommunikativ.
Spiel ist freies Handeln.
Spiel in der Kindheit ist existenziell und anthropologisch fundierend.
Spiel ist nicht das gewöhnliche Leben.
Spiel aktiviert, motiviert und provoziert.
Spiel ist Realitätsbewältigung durch Lernen.
Spiel schafft Erlebnisse, Ereignisse, Erfahrungen und Emotionen.
Spiel ist nicht nützlich und nicht notwendig.
Spiel ist die besondere Kultur der Kinder.
Spiel kann Inklusion und Exklusion sein.
Spiel ist zweckfrei (und damit „ästhetisch“).
Spiel ist Show, Rollenhandeln, Inszenierung.
Spiel ist eine symbolische Form und Methode.
Spiel bedeutet Umweltlernen.
Spiel ist eine „Als-ob-“ oder „Quasi-Realität“.
Spiel braucht und arrangiert Zeit, Zeug, Raum und Partner.
Spiel ist ein begrenzter abgeschlossener Kontext/Raum.
Spiel schafft Beziehungen und intensiviert Kontakte.
Spiel ist Einübung und Funktionsausbildung.
Spiele konstruieren Welten.
Spiele sind wiederholbar, reversibel und/oder einmalig.
Spiel braucht Ermöglichungsstrukturen und Gelingensbedingungen.
Spiel thematisiert und illustriert Träume, Wünsche, Triebe, Vorstellungen.
Spiel provoziert, entgrenzt, verfremdet.
Spiel entfaltet eine eigene Dynamik.
Spiel verbindet innere und äußere Wirklichkeit, Selbst- und Weltbezug.
Spiel ist absichtslose Selbstbildung.
Spiel ist Kampf und Wettbewerb „um etwas“.
Spiel hat Wirkungen und Effekte: Wissen, Können, Lernen.
Spiel hat soziale, kommunikative, therapeutische Funktionen.
Im Spiel entsteht Ernst, aus Ernst kann Spiel werden.
Spiel ist eine partizipative Handlungsform.
Spiel steht im Kontrast zur Arbeit.
Spiel entlastet und lenkt ab.
Spiel braucht Leistung, Anstrengung, Konzentration.
Spiel macht Spaß.
Spiel ist Erholung, Rekreation und „innere Unendlichkeit“.
Spiel ermöglicht „Leben lernen“.
Spiel ist Konstruktion sozialer Wirklichkeiten und Möglichkeiten.
Spiel wird von Neugierde und Phantasie angetrieben.
Spiel ist scheinhaft, irreal, fiktiv, unwirklich.
Spiel ist „Imagination in Aktion“ und Experiment, Exploration, Kreation.
Spiel verbindet Sinn und Sinnlichkeit.
Spiel ist gestaltete Zeit und gelebter (Sozial-)Raum.
Spiel ist eine Form leiblich-sinnlicher Erkenntnis.
Spiel bedeutet Anpassung an Regeln - und deren Übertretung.
Spiel ist simulativ und imitativ, interaktiv und partizipativ.
Spiel ist „Aktion pur“ als weltentrückter Zustand.
Spiel existiert nur im „Hier und Jetzt“, im Vollzug.
Spiel eröffnet therapeutische und diagnostische Chancen.
Spiel aktiviert Weltwahrnehmung und Wirklichkeitsaneignung.
Spiel ist Widerspiegelung („Reflexion“).
Spiel funktioniert sowohl geregelt als auch frei.
Spiel schafft und dynamisiert neue Welten der Unendlichkeit.
Spiel ist pädagogisch gestaltbar.
Spiel be- und verarbeitet Verletzungen, Kränkungen, Erlebnisse.
Spiel erfordert und ermöglicht den Einsatz des „ganzen Menschen“.
Spiel ist auch Kunst - als Musik, Tanz, Theater, Sprache, Bild usw.
Spiel schafft Kompetenzen „in eigener Regie“.
Spiel befreit, ist eine Dimension von Freiheit.
Spiel ist Nachahmung und Illusion.
Spiel ist Transformation und Medium.
Spiel ist genussvoll und risikoreich.
Spiel schafft Spannung, Abwechslung, Lust, Freude, Zorn, Ehrgeiz: Emotionen
Spiel ist das freie „Hin und Her“ geistiger, leiblicher und materieller Bewegungen.
Spiel ist kalkulierbare und begrenzte Handlung, allein und in sozialen Kontexten.

Das alles hat mit Spiel, Spiele und Spielen zu tun. Man kann daher auch von einer Art multiplen „Dialektik des Spiels“ (Sutton-Smith 1978) sprechen.

Literatur
Sutton-Smith, B. (1978): Die Dialektik des Spiels. Karl Hoffmann Verlag, Schorndorf.

Prof. Dr. Wolfgang Zacharias                                                      

Studium Kunst und Kunstpädagogik in Stuttgart, München, Paris. Einige Jahre Gymnasiallehrer in München, dann tätig im Rahmen des Kulturreferats München in der kommunalen Kinder- und Jugendkulturarbeit, Mitbegründer der Pädagogischen Aktion München, Promotion bei Gunter Otto, Universität Hamburg, seit 2005 Honorarprofessor an der Hochschule Merseburg für Kultur-/Spiel- und Medienpädagogik.
Nach Pensionierung freiberuflich und ehrenamtlich tätig in verschiedenen Feldern der Kulturellen Bildung: Kommunale Netzwerke, Projekte und Profile der Kultur-, Spiel-, Medien- und Museums­pädagogik. Derzeit Vorsitzender des freien Trägers PA Spielkultur mit kommunaler Auftrags­lage (www.spielkultur.de). Vorstandsmitglied des Bundesverbands der Jugendkunstschulen und kultur­pädagogische Einrichtungen (BJKE) sowie der Landesvereinigung Kulturelle Bildung Bayern e.V. (LKB:BY), Sprecher der Landesgruppe Bayern der Kulturpolitischen Gesellschaft (KUPOGE, Bonn).

Arbeits-/Forschungsschwerpunkte
Projektorganisation im kommunalen Kontext, Vernetzung Schule-Jugend-Kulturarbeit, Professionalisierung kulturpädagogischer Praxis und Theorie mit den Akzenten Kunst – Kultur – Spiel – Museum – Medien. Aktuelles Interesse: Wechselwirkungen und Balancen zwischen sinnlich-leiblichem und medial-digitalem Erfahrungs- und Gestaltungslernen als zentrale Zukunftsaufgabe insbesondere informellen ästhetischen Lernens im Rahmen kultureller Medienbildung und spielerisch-experimenteller Inszenierungen mit den Akzenten Performation – Transformation – Intervention.


Kontakt
Zacharias-muc@t-online.de

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