Nicole Hartmann
Medien&Materialien: Eva Kaul, Markus Fischer (Hrsg.): Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie IBP (Integrative Body Psychotherapy)
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Wer ein fundiertes Wissen und einen Überblick über die Integrative Körperpsychotherapie bekommen möchte, ist bei diesem Lehrbuch an der richtigen Adresse. Auch Personen, die in angrenzenden therapeutischen Feldern arbeiten, bietet es vielfache Anregungen. Die theoretischen Modelle sind gut übertragbar, und die praktischen Übungen können Impulse für die eigene Praxis geben. Theorie und Praxis werden in ausgewogenem Verhältnis dargestellt. Gut verständliche Abbildungen verdeutlichen die theoretischen Konzepte, und in blau unterlegten Feldern werden die wichtigsten Punkte der Kapitel zusammengefasst sowie praktische Übungen mit gut nachvollziehbaren Bildern hervorgehoben. Vielfältige Praxisbeispiele vermitteln den konkreten Bezug zum therapeutischen Vorgehen. Allerdings benötigt es detektivische Fähigkeiten, um die im Vorwort angekündigten und in den Kapiteln erwähnten Online-Unterlagen zu finden. Es gibt im gesamten Buch exakt keinen Hinweis darauf, wo diese abgerufen werden können. Die Suche per Suchmaschine führt zum Ebook, wo es keinen Hinweis auf einen Link gibt. Erst wenn man auf der Seite des Verlags das Buch aufruft, erscheint der Link. Die Online-Unterlagen sind zudem nicht den Kapiteln zugeordnet, sondern in Fragebögen, Leitfäden und Übungsanleitungen unterteilt. Eine schnelle Zuordnung von den Online-Unterlagen zum dazugehörigen Kapitel wird so erschwert. Dies wird jedoch von der inhaltlichen Güte wett gemacht. Besonders hervorzuheben ist die genaue und wissenschaftlich fundierte Darstellung der theoretischen Konzepte. Die Grundlagen, auf denen diese aufbauen, werden historisch und kritisch eingeordnet, und neue Forschungsergebnisse werden einbezogen, so dass ein facettenreiches und vor allem aktuelles Bild entsteht. Erfreulich ist beispielsweise, dass bei den entwicklungspsychologischen Grundlagen von Mark Froesch-Baumann die Kritik an Mahlers Symbiose-Konzept ebenso Raum findet wie die Erwähnung des Zyklus „attunement – misattunement – reattunement“, welches besagt, dass nicht allein das Spiegeln für eine Einstimmung von Säugling und Bezugsperson von Belang ist. Die Unterbrechungen dieser Einstimmung mit nachfolgender gemeinsamer Anstrengung, diese wieder herzustellen, stärken die sichere Bindung. Auch sprachlich öffnet sich Mark Froesch-Baumann den aktuellen Realitäten, indem er nicht nur von der Mutter, sondern auch von der Bezugsperson spricht. Grundlegende therapeutische Begrifflichkeiten und Konzepte wie Containment, Präsenz, Achtsamkeit, Berührung oder auch somatische Übertragung und Gegenübertragung, um nur einige zu nennen, werden im Lehrbuch differenziert betrachtet und erklärt. Das Persönlichkeitsmodell des IBP ist gut verständlich und anwendbar und damit auch für andere therapeutische oder soziale Berufe hilfreich. Verdienstvoll ist ebenso, dass bei einem Thema wie „Eigenraum, Grenze und Kontakt“ am Ende politische und soziologische Fragen aufgeworfen werden, die über das Individuelle hinausweisen: Welche Raumansprüche kann wer erheben, wie wirken sich virtuelle Räume in ihrer Entgrenzung aus? Ohne einfache Antworten auf diese komplexen Fragestellungen zu geben, ermutigt Corinna Möck-Klimek uns als Kollektiv, den diesbezüglichen Diskurs zu führen, und wagt sich damit über den (manchmal doch vorhandenen) Tellerrand der therapeutischen Sichtweise hinaus. Immer wieder verweist das Buch darauf, dass Therapeut:innen einen Menschen in seinen individuellen Gefühlslagen begleiten und die Modelle nicht die Wahrheit abbilden, sondern eine Orientierung bieten. Sie sind eine Landkarte, aber nicht die Landschaft selbst. Dies ist sowohl für erfahrene als auch für angehende Therapeut:innen immer wieder eine gute Erinnerung und spiegelt die Offenheit des IBP wider. Diese Offenheit lässt der Absatz über Geschlechtervorurteile von Markus Fischer allerdings vermissen. Zwar wird kurz darauf Bezug genommen, dass diese immer mit sozialen und gesellschaftlichen Verhältnissen verbunden sind und als Glaubenssätze Beziehungen beeinflussen können. Jedoch wird weder das binäre Konstrukt der zwei Geschlechter thematisiert, noch Beispiele aus Familien mit LGBTQIA+-Personen genannt. Das Thema gipfelt in der Feststellung: „In unserer Kultur sind weiterhin die Frauen die primären Erziehungspersonen. Das verleiht ihnen einen besonderen Einfluss hinsichtlich geschlechtsspezifischer Vorurteile.“ Daher seien die Vorurteile der Mütter klarer spürbar als die des öfter abwesenden Vaters. Soll mensch jetzt daraus schließen, dass es die Mütter sind, die das Patriarchat letztendlich aufrechterhalten? In dieser Eindimensionalität ist das ansonsten sicherlich wichtige Thema schwer annehmbar. Glücklicherweise wird die differenzierte Sichtweise sowohl im Absatz über die Therapie von Geschlechtervorurteilen von Mark Froesch-Baumann und Eva Kaul sowie im letzten Kapitel über die Arbeit mit Sexualität von Notburga Fischer und Robert Fischer nachgeholt. Es wird ein Überblick über vier Dimensionen von Geschlecht und Sexualität gegeben und auf die Begleitung von LGBTQIA+-Personen eingegangen. Dies ist besonders wertvoll für Therapeut:innen, die nicht zu diesem Personenkreis gehören, sich aber mit der Thematik auseinandersetzen möchten. Dieser Teil ist offen und wertschätzend allen Geschlechtern und sexuellen Ausrichtungen gegenüber. Warum dann allerdings im Verlauf des Kapitels die Rede von femininen und maskulinen Aspekten oder auch dem männlichen und weiblichen Energiekreis ist, erschließt sich nicht. Natürlich wird gesagt, dass alle Geschlechter beide Pole in sich tragen und es nicht geschlechtsspezifisch gemeint sei – aber wenn dem so wäre, bräuchte es die Zuordnungen männlich/weiblich nicht, es würde völlig ausreichen, die Eigenschaften beider Pole zu nennen. Abgesehen davon, dass es zwischen diesen Polen des Verhaltens unzählige Variationen gibt, zementieren sie genau das binäre Geschlechts- und Rollenverständnis, welches der theoretische Text kritisch und differenziert betrachtet. Schade. Nur als Vorschlag: Man könnte Menschen, deren Hoden sich außerhalb des Körpers befinden, das verletzliche Geschlecht nennen. Schließlich befindet sich ein schmerzempfindliches Organ, von dem ihre Fortpflanzungsfähigkeit abhängt, in exponierter Lage. Ein Penis kann eingeführt oder aufgenommen werden, statt dass ein Mensch penetriert wird, um sich einmal von dem Konzept expressiv und rezeptiv zu lösen. Und zu guter Letzt braucht es für eine befriedigende Sexualität auch nicht zwangsläufig einen Koitus. Vielleicht sollte die IBP (und nicht nur die) sich von der Geschlechter- und Sexualverhaltensvielfalt zu einem neuen und offeneren Verständnis der theoretischen Konzepte und praktischen Übungen inspirieren lassen. So lässt sich abschließend sagen, dass die „Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie“ ein sehr gutes Grundlagenwerk ist, das den Stand der IBP darstellt und gleichzeitig Fragen aufwirft, die zu einem Diskurs einladen können. Nicole Hartmann
| Bibliographie | Nicole Hartmann Medien&Materialien: Eva Kaul, Markus Fischer (Hrsg.): Einführung in die Integrative Körperpsychotherapie IBP (Integrative Body Psychotherapy) 2 Seiten. () |
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| Seiten | 2 |
| Artikelnummer | KTB20250406 |
| Autor:in | Nicole Hartmann |
| Erscheinungsdatum | 01.10.2025 |